Effiziente Meetingkultur - Interview mit Boris Diebold (CTO, Heyjobs)
Zeit ist wertvoll und muss deswegen effizient gestaltet und gesteuert werden. Einer der größten Zeitfresser und damit Kostenfaktor für Unternehmen sind Meetings. Um diese effizienter zu gestalten, haben wir TimeInvest gegründet. Hiermit kann man das Feedback von Meetingteilnehmern nutzen, um Verbesserungen vorzunehmen, oder - wenn möglich- das Meeting komplett zu eliminieren. Im Gespräch mit unseren Kunden stoßen wir immer wieder auf spannende Vorgehensweisen in Bezug auf Meetings und Zeit generell. So geschehen auch mit Boris Diebold, CTO bei Heyjobs, den wir zum Interview trafen.
TimeInvest: Zunächst hast du uns für dieses Meeting lediglich 20 Minuten eingeräumt und erst auf Nachfrage erhielten wir 30 Minuten. Sind die 20 Minuten deine Standardmeetingzeit? Was hat es damit auf sich?
Boris: Eine sehr gute Frage! Meine erster Gedanke, wenn ich eine Einladung bekomme, ist: Braucht es denn die Zeit tatsächlich? Normalerweise bekommt man als Standard 1h Slots eingestellt. Nach meiner Erfahrung ist es für die meisten Meetings ausreichend einen 30 Minuten zu reservieren, vor allem, wenn es um so etwas wie kurze Abstimmungen geht. Diese Timebox hilft dabei, sich auf das Wesentliche zu konzentrieren. In diesem Kontext haben sich auch sog. “Speedy Meetings” etabliert, das heißt, ein halbstündiges Meeting dauert 20-25 Minuten (ein einstündiges 50 Minuten) - so dass man noch genügend Zeit hat für den Übergang zum nächsten Meeting. Ggfs. kann man sich noch einmal kurz sortieren oder Notizen hervorholen. Bei physischen Meetings mit Raumwechseln o.ae. beugt dieses Vorgehen dem leider sehr weit verbreiteten Zuspätkommen vor. Bei Back-to-Back-Meetings, die ohne Pause unmittelbar aufeinander folgen, kommt es leider häufig vor, dass jemand fünf Minuten später kommt, weil das Meeting zuvor überzogen wurde. Dies ist m.E. absolut vermeidbar und eine reine Organisationsfrage und eine Frage von Respekt den anderen gegenüber. In Tools wie z.b. Google Calender lassen sich übrigens Speedy Meetings als Standardform in den Optionen einstellen...
TimeInvest: Vielleicht kannst du uns noch einmal ein wenig abholen und durch deine Karriere führen. Du bist jetzt CTO bei HeyJobs mit über 100 Mitarbeitern. Was hast du vorher gemacht? Und vielleicht sagst du uns im Anschluss auch gleich, wie du in deinen unterschiedlichen Karrierestationen Meetings und Meetingkultur empfunden hast.
Boris: Vor meinem jetzigen Job als CTO bei HeyJobs war ich CTO bei Seven Senders - ein schnell wachsendes Logistik-Tech-Startup. Davor war ich CTO bei Babbel, der Sprach-Lern-App, bekannt aus Funk und Fernsehen. Zuvor in verschiedenen Rollen zwölf Jahre Technologieberater bei Accenture - dort meistens für Grosskunden- und Mulitnationale Konzerne. Während dieser Zeit konnte ich einiges über unterschiedliche Meetingkulturen lernen.
Interessant ist, z.B. dass die Größe des Unternehmens keinen Rückschluss auf die Effizienz der Meetingkultur zulässt. Über die Jahr konnte ich mehrfach beobachten, dass durch eine gute Meetingkultur nicht nur die Effizienz einer Abteilung oder der gesamten Firma verbessern werden kann, sondern auch signifikant die Zufriedenheit der Mitarbeiter (und leider auch das Gegenteil).
TimeInvest: Das war dann schon fast die Antwort auf unsere nächste Frage. Man kann also keine Rückschlüsse aus der Größe eines Unternehmens auf die Meetingkultur ziehen?
Boris: Nein, nach meinen Erfahrungen keinesfalls. Jedoch lässt sich in kleineren Unternehmen die Kultur sehr viel schneller verändern. Bei großen Unternehmen funktioniert das oft nur in einer Abteilung. In Startups ist die Umsetzungsgeschwindigkeit naturgemäß ziemlich hoch. Meeting-Guidelines festlegen, mit dem Führungsteam abstimmen und in die Organisation diffundieren zu lassen. Das funktioniert bei größeren Firmen abteilungsweit ganz gut, aber sobald Schnittstellen zu anderen Abteilungen bestehen, gibt es häufig Konflikte.
TimeInvest: Du pflegst jetzt einen relativ rigorosen Umgang mit Meetings. Könntest du uns einmal erläutern, wie du das handhabst und vielleicht auch, wie normalerweise dein Terminkalender aussieht?
Boris: Gerne. Bevor ich eine Meeting Einladung annehme oder selbst einstelle, frage ich mich zuerst ob dies überhaupt notwendig ist. Ich bin ein großer Freund der klaren Trennung zwischen synchroner und asynchroner (Kommunikations-)Kultur. Sehr oft werden Meetings einberufen, die man besser als E-Mail oder als Dokument asynchron diskutiert hätte. Zuerst hinterfrage ich also: Muss das Meeting sein? Muss ich als Teilnehmer dabei sein? Oder reicht es auch, wenn ich mir hinterher ein Summary zukommen lasse oder mir die Notizen dazu anschaue?
Zudem lehne ich jedes Meeting ohne Agenda meist höflich ab oder erfrage vorher, was die Agenda und das erwünschte Ergebnis für dieses Meeting ist und welche Vorbereitung es bedarf. Idealerweise sollten zudem Vorbereitungen 24 Stunden im Vorfeld versendet werden. Damit kann man im Meeting voraussetzen, dass jeder die Unterlagen gelesen und sich eine Meinung gebildet hat. So wird die wertvolle Zeit nicht für Präsentation, sondern zur Diskussion und Entscheidungsfindung verwendet werden. Ich versuche daher immer stark zu trennen zwischen asynchroner Zeit, die jeder für sich selber einteilen kann und der synchronen Zeit, die man zusammen verbringt, die sehr “teuer” ist – Letztere versuche ich im Sinne aller zu minimieren.
Mein persönlicher Kalender ist zugänglich für alle Mitarbeiter. Wenn Sie mich noch nicht kennen sind sie oft geschockt, weil sie denken: “Der ist ganz voll”. Das liegt jedoch vor allem liegt daran, dass ich viel Zeit mit mir selbst buche. Ich wundere mich oft, wenn ich bei anderen in die Kalender schaue: Diese sind oft leer, da steht nichts drin, oder nur Termine, die sie mit anderen Personen haben. Wenn man konzentriert arbeiten und sich dafür freie Zeit generieren möchte, muss man mit sich selber Zeitblöcke buchen, in denen diese Arbeit passieren kann. Tatsächlich findet sich in meinem Kalender fast alles was 20 min oder länger dauert. In diesem Kontext versuche ich meinen persönlichen Energieverlauf mit einzubeziehen und halte, sofern möglich, die Vormittage frei von Meetings mit anderen Menschen. Das ist Zeit, in der ich am Besten an strategischen Themen oder Themen, die ein tiefes Einsteigen erfordern, arbeite – also konzentrierte Arbeit, die ich alleine machen kann und muss. Das sind oft Themen die gerne dazu verleiten abends zu später Stunde noch zu sitzen wenn man den ganzen Tag über dazu “keine Zeit” hatte. Diese habe ich morgens schon erledigt, ich starte normalerweise mit den wichtigsten Themen zuerst in den Tag.
Wenn ich eine Meetinganfrage für den Vormittag bekomme, versuche ich meist dies umzulegen auf einen Nachmittagstermin damit ich diese für mich wichtige Zeit bewahren kann. Regelmeetings mit Mitarbeitern aber auch Kollegen versuche ich so kurz wie möglich zu halten, sodass man sich gut kurz und bündig mündlich über verschiedene Themen austauschen kann. Wenn es ein Thema gibt in das man tiefer einsteigen möchte setze ich lieber ein Folgemeeting auf, das dann aber nur das bestimmte Thema zum Inhalt hat. Gerade bei Führungskräften sieht man oft, dass Regelmeetings mit Mitarbeitern einstündig sind – jede Woche eine Stunde pro Mitarbeiter. Je nach Führungsspanne kann das ziemlich zeitintensiv werden und meist wird die Zeit auch nicht voll genutzt, “zerstückelt” aber den Tag. Ich lasse mir Informationen und Status-Updates gerne via E-Mail oder Ticketing Tools (JIRA etc.) geben, sodass man die wertvolle Zeit zusammen sehr viel stärker auf Diskussionen fokussieren kann. Sehr gerne verbringe ich die gemeinsame Zeit dabei auch vor einem physischen Whiteboard - von diesen gibt es in meiner Arbeitsumgebung immer mindestens eines pro Raum (besser zwei).
TimeInvest: Das klingt sehr rigoros. Was passiert denn, wenn bei der Umsetzung von oben oder von außen Meetings kommen, die nicht deinem Schema entsprechen?
Boris: In diesem Fall ist Freundlichkeit und Bestimmtheit der Schlüssel zum Erfolg. Man muss einfach freundlich nachfragen, ob es nicht mehr Details zum Meeting gibt, oder ob das Meeting nicht vielleicht am Nachmittag stattfinden kann. Meistens ist das dann überhaupt kein Problem. Viele trauen sich einfach nicht, zu fragen. Es geht dabei auch um freundliche Erziehungsmaßnahmen untereinander und darum, darauf aufmerksam zu machen, wie ein respektvoller Umgang miteinander funktioniert. Ich habe zum Beispiel Entwickler in meinen Teams, halbe Tage in ihrem Kalender geblockt haben, während denen sie unter der Woche nicht gestört werden wollen. Natürlich buche ich in diese Phasen, in denen sie konzentriert arbeiten wollen, kein Meeting wenn es sich vermeiden lässt. Dabei geht es um gemeinsamen Respekt und Verständnis.
TimeInvest: Gehst du in Bezug auf deine Mitarbeiter hier eher als Vorbild voran oder handelt es sich um eine klare Company Policy wie die Meetings bei euch gehandhabt werden?
Boris: Meiner Ansicht nach ist es schwierig, Regeln top down einfach vorzugeben. Was gut funktioniert, ist eine Guideline zu erstellen – diese versuche ich auch in jedem Team möglichst schnell zu etablieren sofern sie noch nicht vorhanden sein sollte. Also ein gemeinsames Verständnis darüber, wie wir arbeiten wollen. Dies kann sich über die Zeit natürlich verändern. Aber es sollte ein gemeinsames Grundverständnis darüber herrschen, wie die Interaktion im Unternehmen funktioniert. Welche Kommunikationskanäle gibt es? Wofür wird Slack verwendet? Wofür E-Mail? Was ist ein Meeting? Was ist ein Workshop? Dies hilft Verhaltensregeln zu verinnerlichen. Natürlich ist es dann notwendig, mit gutem Beispiel voranzugehen. Es bringt nichts, wenn ich von meinen Mitarbeitern fordere, pünktlich zum Meeting zu erscheinen und ich als Führungskraft komme immer zuletzt, weil ich zu “beschäftigt” bin.
Ein Dauerbrenner ist aus meiner Sicht die Nutzung von elektronischen Geräten in physischen Meetings. Ich bin selber Techniknerd aber kein Freund von der Nutzung elektronischer Geräte in Meetings. Was oft gut funktioniert ist eine “Dual-Device-Guideline”. Meistens sind nur zwei elektronische Geräte in Meetings notwendig: Eines für den Präsentator, eines für den Schriftführer. Ansonsten braucht es keine Laptops und Mobiltelefone und diese sollte wenn möglich im Meeting nicht benutzt werden. So kann sich jeder sehr viel stärker auf den Inhalt und die Ergebnisse des Meetings fokussieren. Sobald nicht nebenher noch an etwas anderem gearbeitet werden kann, stellen manche Teilnehmer oft fest, dass sie eigentlich gar nicht an diesem Meeting teilnehmen müssten – so können sie woanders hingehen und ihre Zeit sinnvoller nutzen.
TimeInvest: Gibt es auch eindeutig messbare Erfolge im Kleinen wie im Großen?
Boris: Für mich persönlich besteht der Erfolg darin, dass meine Teams und ich damit sehr produktiv und vor allem motiviert funktionieren. Für mich selbst habe ich mir damit auch ein System geschaffen, dass es mir ermöglicht, trotz meiner anspruchsvollen Rolle immer genügend Zeit für meine Mitarbeiter zu haben. Mit einem gut gepflegten Kalender hat man immer die Möglichkeit, den Tag aufgrund veränderter Prioritäten anzupassen - ohne für andere zu viel Unruhe zu erzeugen. Ich bin bei dringenden Anliegen immer verfügbar, wenn ich der Herr meines Kalenders und meiner aktuellen Prioritäten bin.
TimeInvest: Hast du Ratschläge für jemanden, der diese Zeilen liest und den Wunsch hat, eine Meetingkultur, wie von dir beschrieben in seiner Firma einzuführen? Schlag auf Fall oder lieber schrittweise?
Boris: Man kann Menschen nicht über Nacht überzeugen. Ich glaube, man muss schrittweise vorgehen. Kleine Testballons starten, versuchen, Verbündete zu finden: „Hey, wollen wir das nicht mal eine Woche lang probieren, mal schauen, wie das funktioniert? Vielleicht versuchen wir es erst einmal mit kürzeren Meetings?“ Oder man lässt zunächst mal ein Meeting ausfallen, was man bisher immer durchgeführt hat usw. Dann kann man Schritt für Schritt darauf seine Guidelines und Meetingkultur aufbauen. Sobald man daraus die ersten Erfolge generiert hat, wird man sehen, dass man Geschwindigkeit aufnimmt und dass mehr Interessenten dazukommen.
TimeInvest: Gibt es sonst noch etwas, was du uns mitteilen möchtest, worauf man achten sollte?
Boris: Einen Tipp kann ich noch geben: ein regelmäßiger Kalender Review. Bei mir selber mache ich diesen ca. alle drei Monate, bei Mitarbeitern vor allem zu Beginn oder wenn sie eine neue Rolle übernehmen. Es geht dabei darum, sich bewusst zu machen, womit man seine Zeit verbringt. Dabei analysiert man in seinem Kalender die Vergangenheit und ordnet grob zu, wie viel Zeit pro Woche man in etwa in Regelmeetings, Status-Updates, für Mitarbeiterführung oder strategischer Arbeit usw. verbringt. Sich dessen überhaupt erst einmal bewusst zu werden ist dabei ein wichtiger Aspekt. Vorher sollte man sich Gedanken machen, wie im besten Fall für die eigene Rolle die Zeitallokation für diese Bereiche aussehen sollte. Meist gibt es eine mehr oder minder große Diskrepanz. Oft verbringen wir mehr Zeit mit Aktivitäten, die weniger wertschöpfend sind. Aber erst wenn man dies schwarz auf weiß vor sich sieht, fällte es einfacher darüber nachzudenken und zu diskutieren, ob es das Meeting wirklich braucht, ob Verantwortlichkeiten delegiert werden können, ob bestimmte Themen zugunsten anderer ausgelassen werden können.
TimeInvest: Herzlichen Dank für Deine Zeit, Boris!
Boris: Danke ebenfalls für Eure Zeit - und wie ihr sehen könnt war ein 25 Minuten Slot statt dem 1h Termin den Ihr mir initial eingestellt habt gar kein Problem. :-)
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